Heilonias
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Es war einmal...


... ein weites fernes Land namens Heilonias. In diesem Land gab es fünf große Provinzen. Ihre Namen waren Holzonia, Furonia, Terrania, Metallina und Wassania. Jede Provinz unterschied sich von der anderen durch die Menschen als auch die Sitten und Gebräuche dieser Provinzen. Auch lebte in jeder dieser Provinzen ein Stammesoberhaupt und galt unter den Einwohnern der jeweiligen Provinz als Weiser und oberster Rat in allen Fragen des Lebens. Der oberste Weise von Holzonia hatte einen eigentümlichen Namen: Paracelsus. Er galt als ein in seiner Jugend weitgereister Mann, der vielen Menschen begegnet war, viele Erfahrungen in seinem Leben gemacht und einen sehr ungewöhnlichen Lebensstil gepflegt hatte. Er soll in einer Holzhütte in einem Wald in der Nähe eines Bergwerks geboren worden sein. In Holzonia, und daher kommt auch der Name, gibt es nämlich viele und weite Wälder. Selten war er seßhaft geworden, stets zog er durch die Lande und manchmal wurde er sogar aus einer Stadt vertrieben, wenn seine Lehren auf wenig Gegenliebe bei der Bevölkerung stießen.

Paracelsus war nämlich sehr eigen in seinen Ansichten und galt als Außenseiter, aber auch als Pionier in der Medizin. Er vertrat die Auffassung, daß die Heilkunde nicht theoretisch auf der Schulbank gelernt, sondern praktisch in der Natur und im Leben gesehen und erfahren werden müsse. Das bedingte, daß der Arzt nicht hinter dem warmen Ofen sitzen dürfe, sondern daß der Heilkundige in die Natur hinaus und auf Reisen gehen müsse, um die verschiedensten Krankheiten und Kranken kennenzulernen. Paracelsus nannte dies so: „Im Lichte der Natur schauen“. Weiterhin vertrat er die Auffassung, daß die Heilmittel für den Kranken nicht aus fernen Ländern importiert werden sollten, sondern er forderte, Heilmittel zu verwenden, die in der natürlichen Umgebung, in der die Krankheit entstanden war, wuchsen. Denn es gab einmal eine Mode, das Guajakholz aus Amerika nach Heilonias zu importieren, woran sich die Kaufleute und Händler eine goldene Nase verdienten, der Kranke aber genauso oder sogar besser durch einheimische Heilmittel geheilt hätte werden können.

Paracelsus verwendetet für seine medizinische Kunst außerdem auch die Astrologie, d.h. die Sternenkunde und die Alchemie, d.h. die Kunst der Zubereitung und Verfeinerung von Heilmitteln. Er glaubte, daß ohne die Berücksichtigung des Gestirnstandes zum Zeitpunkt der Geburt eines Patienten und ohne Berücksichtigung der Sterneneinflüsse zum Zeitpunkt der Erkrankung der Arzt nicht in der Lage wäre, sorgfältig und treffend die richtige Arznei zu wählen und zu verschreiben. Gleichzeitig lag ihm viel daran, die Arzneikraft, die zum Beispiel in Heilpflanzen ist, zu erhöhen und zu verfeinern, indem er die Wirkkraft der Kräuter von ihrer materiellen, eher substantiellen Beschaffenheit trennte, so daß weniger physische Wirkung von den Pflanzen ausging, als vielmehr eine feinstoffliche Wirkung. Dazu gab es in der Alchemie verschiedene Techniken wie Destillieren, Separieren, Kalzinieren und andere Techniken mehr, die diese feinstofflichen Qualitäten der Heilpflanzen extrahierte und in alchemistischen Arzneien zur Verfügung stellte.

Paracelsus glaubte weiterhin, daß es neben der Astrologie und der Alchemie zwei weitere Säulen der Heilkunde gäbe, und zwar die Philosophie und die Virtus oder auch Tugend des Arztes. Unter Philosophie verstand er weniger Philosophie im heutigen Sinn des Wortes, sondern vielmehr die Betrachtung und das Verstehen der Naturvorgänge, was nicht nur die Heilkunde sondern auch die Biologie, Physik, die Chemie, also die Naturkunde und das Naturverständnis im weitesten Sinne umfaßte.

Last but not least legte er großen Wert auf die Tugend des Arztes, was auch die Beweggründe und Motivation umfaßte, die den Arzt veranlaßte, die Heilkunde auszuüben. War es um des Geldes willen oder lag dem Arzt das Wohl des Patienten und auch der Liebesakt im Heilvorgang am Herzen ? Hier trennte er immer scharf die Spreu vom Weizen. Auffallend war, daß Paracelsus zeitlebens immer in Bewegung war und niemals an einem Ort seßhaft wurde.

„Aha, ein Tuberkuliniker !“1 - sprach der Weise aus der anderen Provinz, nämlich der Weise von Wassania, der von der dortigen Bevölkerung nicht weniger geschätzt wurde als Paracelsus in Holzonia. Sein Name war Hahnemann. Die beiden waren gute Freunde und beiden war das Reisen im besten Mannesalter stets selbstverständlich gewesen. Selbst jetzt wurden die beiden nicht müde, von Zeit zu Zeit die anderen Provinzen zu besuchen. Wassania war dafür berühmt, daß die Menschen der Provinz exzellente Weine und Zuckerspeisen2 verfertigen konnten. Spötter aus Furonia hielten ihnen zwar immer wieder vor, daß in ihren Weinen eigentlich gar nichts enthalten sei und daß diese doch recht fade schmecken würden. Vielleicht rührt daher auch der Name von Wassania her, denn die Furonier behaupteten, daß die Weine aus Wassania wie Wasser schmecken würden.

Hahnemann hatte sich schon früh der Heilkunde gewidmet und Medizin studiert. Er war allerdings durch diese Studien von den Möglichkeiten des damaligen medizinischen Könnens eher ernüchtert als begeistert worden. Er erfuhr, daß die Medizin in seiner Jugendzeit bestenfalls dazu in der Lage war, dem Kranken eine gewisse Erleichterung zu schaffen, aber keinesfalls in der Lage war, die Krankheiten zu heilen. Im Gegenteil: Oft war es sogar so, daß die medizinischen Mittel der damaligen Zeit den Kranken eher schadeten als nützten und ohne die Einwirkung des Arztes wäre es den Kranken sogar besser gegangen als mit Hilfe des Arztes. Hahnemann, dem unbestechlich diese Erkenntnis scharf vor Augen stand, lehnte nach Absolvierung seines Medizinstudiums die aktive Ausübung seines erlernten Berufs ab und verlegte sich zum Geldverdienst auf Übersetzungen aus anderen Sprachen und ließ die Heilkunde ruhen. Er war nämlich sehr sprachbegabt und beherrschte neben der deutschen, französischen und englischen Sprache auch das Lateinische und Griechische fließend. Dies führte dazu, daß er auch medizinische Werke in die deutsche Sprache übersetzte wie z.B. die Materia medica des englischen Arztes Cullen. Hahnemann dachte immer kritisch mit und ließ nie etwas ungefragt stehen. Das führte dazu, daß er einerseits bei seinen Übersetzungen immer gleich Kommentare zum übersetzten Werk am Rand mitlieferte und andererseits auch dazu, daß er die übersetzten Inhalte praktisch prüfte. Eines Tages stolperte er beim Übersetzen über einen Abschnitt in Cullens Materia medica, der sich mit den Wirkungen der Chinarinde befaßte und sie für die Malaria empfahl. Hahnemann besorgte sich die Chinarinde in einer Apotheke und nahm dieses Mittel mehrmals ein, woraufhin er bestimmte Krankheitssymptome entwickelte, die sehr stark an die Krankheitssymptome von Malaria erinnerten. Dieses Erlebnis führte dazu, daß er den Einfall hatte, daß Arzneien, die beim Gesunden eine bestimmte krankhafte Wirkung hervorrufen, beim Kranken, der unter den gleichen Symptomen leidet, diese kurieren können. Im damaligen Stil der Zeit drückte er dies in dem lateinischen Merkvers „Similia similibus curentur.“ aus: „Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden.“ Seine späteren Schüler und Anhänger nannten diese neue Lehre dann Homöopathie. Nachdem er zu dieser Erkenntnis des Ähnlichkeitsprinzips gelang war, nahm er die Heilkunde wieder auf und hatte außerordentliche und erstaunliche Erfolge mit seinem neuen Behandlungsprinzip. Außerdem verminderte Hahnemann die in seiner Zeit oftmals heroischen Dosen der Arzneien, indem er die Arzneistoffe stark durch eine gewisse Anzahl von Verschüttelungsschlägen verdünnte oder mit dem Fachausdruck beschrieben: „potenzierte“. Dadurch wurden die Arzneien für den Kranken wesentlich leichter einnehmbar, wobei interessanterweise sich die Heilkraft ähnlich wie in der alchemistischen Veredelung noch erhöhte, obwohl oder gerade weil die Dosis vermindert wurde. Hahnemann führte in der Folge viele Versuche an gesunden Menschen durch, um herauszufinden, welche Heilkraft in den verschiedensten Stoffen sei. Man nennt dies Arzneimittelprüfungen am Gesunden, um im Falle einer Krankheit die gleichen oder ähnlichen Symptome durch diese Arznei zum Verschwinden zu bringen.

Gelegentlich begegneten Paracelsus und Hahnemann auf ihren Reisen einem fremdländischen Zeitgenossen. Er wurde oft nur kurz „der Gelbe“ genannt, aber sein eigentlicher Name war „der gelbe Kaiser“. Niemand wußte genau, warum er so hieß und es wurde gemunkelt, daß er aus einem weit entfernten Land gekommen sein soll und daß er dort einmal einen sehr hohen staatlichen Posten bekleidet hätte, daher der Zusatz Kaiser. Aber selbst heute wurde er noch in der Provinz Metallina sehr geschätzt und nicht ohne Grund hatte die dortige Bevölkerung ihn zu ihrem obersten Rat und Weisen eingesetzt. Vielleicht war sein edles, vielleicht sogar blaues Blut dafür verantwortlich, daß er einen gewissen Hang zum Luxus hatte und sein Heim manchmal wie ein Kaiserpalast mit vielen Metallen ausstaffiert war und auch so funkelte. Er soll auch über eine beachtliche Schwerter- und Lanzensammlung verfügen, die er Interessierten gerne zeigte und vorführte.3

Das Land, aus dem er kam, wurde auch das Land der aufgehenden Sonne genannt. Möglicherweise war dies die allegorische Umschreibung des Umstands, daß die Ausübung der Heilkunde dort schon sehr alt war und auf eine lange Tradition zurückblicken konnte, also in der Morgendämmerung der modernen menschlichen Zivilisation ihren Anfang genommen hatte.

Die Heilkunde dieses Lands ging davon aus, daß Krankheit durch das Ungleichgewicht von Yin und Yang entsteht. Yin und Yang ist die symbolische Umschreibung von zwei gegensätzlichen Polaritäten, von denen es eine Vielzahl in der Welt und auch in der Heilkunde gibt: Tag und Nacht, Männlich und Weiblich, Gut und Böse, Berg und Tal, Sonne und Mond, etc. In der Heilkunde wurde Krankheit als Resultat eines gestörten Gleichgewichts angesehen: Wenn also das männliche Yang-Prinzip beim Menschen überwiegt und das weibliche Yin-Prinzip geschwächt ist oder umgekehrt, so kann dies ein Nährboden für die Entstehung von Krankheiten sein. Man kann dies mit dem Bild einer Waage vergleichen, bei der auf der einen Waagschale ein schwereres Gewicht liegt als auf der anderen Waagschale. Dadurch kommt die Waage ins Ungleichgewicht. Ähnlich verhält es sich in der Medizin, wenn Yang- und Yin-Prinzip sich im Ungleichgewicht befinden.

Außerdem denkt man in dieser Heilkunde sehr stark in Bildern und versucht Krankheiten sehr anschaulich zu beschreiben. Eine typische Yang-Krankheit, d.h. ein Yang-Überschuß, wäre z.B. ein aufsteigendes Leber-Feuer, womit die Chinesen Symptome wie Kopfschmerzen, Hörsturz, Bluthochdruck, etc. zu einem Bild zusammenfassen. Ihrer Meinung nach sind diese unterschiedlichen Symptome auf die energetische Störung eines „überschießenden Leber-Feuers“ zurückzuführen. Damit ist kein Leberschaden im körperlichen Sinne als Ursache für diese Symptome gemeint, sondern dieses Bild bezieht sich auf die psychischen Ursachen von Wut, Zorn und Aggression, die durch eine bestimmte Situation oder eine generelle Konstitution des Patienten (Choleriker) gegeben sind.

Wenn dagegen das Yin der Leber überwiegt und das Yang dadurch zu schwach ist, kann es zu Symptome wie kalten Extremitäten, Impotenz bei Männern und Unfruchtbarkeit bei Frauen, Angst und Depressionen kommen. Auch hier werden verschiedene, scheinbar voneinander unabhängige Symptome zu sogenannten übergeordneten Krankheitsmustern, Krankheitsbilder oder auch sogenannten Syndromen zusammengefaßt und bildhaft beschrieben. Der Gelbe diagnostiziert deshalb bei Krankheiten keinen Bluthochdruck, Gliederschmerzen oder eine Arthritis, sondern würde eher in den medizinischen Bildern sprechen.

Für die Therapie verwendet der Gelbe hauptsächlich drei verschiedene Methoden: Die erste Methode heißt Akupunktur und basiert darauf, daß an bestimmten definierten Körperpunkten Stahlnadeln in die Haut gestochen werden, um als eine Art Reiz- und Informationstherapie beim Kranken einen Energiefluß auszulösen und damit bestimmte Blockaden, Schwächen oder Ungleichgewichte aufzulösen und wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Diese Methode war auch in den anderen Provinzen weithin bekannt, weil sie einmal für spektakuläres Aufsehen gesorgt hatte, als sie einmal für eine Schmerzbetäubung bei einer Operation in Furonia eingesetzt wurde. Ein Patient war ohne Vollnarkose bei vollem Bewußtsein am Brustkorb operiert worden - hatte gewissermaßen bei der OP zugeschaut - und dabei nicht die geringsten Schmerzen verspürt. Die Schmerzbetäubung wurde durch den Einstich von Akupunkturnadeln erzeugt.

Der Gelbe war für diese Methode berühmt. Aber er verwendet außerdem die sogenannte Kräutertherapie, die darauf beruht, daß Mischungen von getrockneten Heilpflanzen als Abkochung zubereitet werden und vom Patienten als Tee getrunken werden. Diese eher unspektakuläre Methode war weithin nicht so bekannt wie die Akupunktur, aber wurde in Metallina eigentlich hauptsächlich eingesetzt. Akupunktur wurde dort weit weniger verwendet. Zuletzt war der Gelbe auch ein Arzt, der insbesondere die Ernährung der Kranken kritisch beleuchtete und spezielle diätetisch-medizinische Ernährungsvorschläge gab.

Seine Lieblingszahl war im übrigen die Fünf und seine Eigenart bestand darin, daß er hinter den vordergründigen Eigenarten der Dinge stets auf die Ursachen dahinter zu schließen vermochte.

„Das dürfte einem alten Alchimisten wie mir nun auch nicht weiter schwer fallen“ sagte Paracelsus und hatte damit wohl nicht ganz unrecht.

„Männer !“ seufzte Hildegard, „immer haben sie nur ihre eigene Profilierung im Kopf und müssen das in ewigen Hahnenkämpfen miteinander ausfechten.“ Ja, das war Hildegard, die weise Frau aus der vierten Provinz, nämlich aus Terrania. Ihr eigentlicher Name war Hildegard von Bingen. Als einzigste der vier Provinzen hatte Terrania sich eine Frau zum Oberhaupt ernannt und sie schätzten die weibliche Intuition und Hellsichtigkeit von Hildchen, wie die Bevölkerung von Terrania ihre fürsorgende Landesmutter oftmals liebevoll nannte. Gleichzeitig war sie für ihre Vernunft und ihre Liebe zu Land und Menschen bekannt. Einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen war es, mit nackten Füßen im Garten zu arbeiten und dabei die feuchte, weiche Erde unter ihren Füßen zu spüren.

Hildegard war eigentlich vom Hauptberuf Nonne, oder genauer gesagt die Vorsteherin eines Klosters - die Äbtissin. Sie war dafür bekannt, daß sie die Lieder für ihre Messen selbst komponierte und mit Inbrunst sang, denn Singen war neben Hellsehen (man nennt es auch prophetische Visionen in Kirchenamtsdeutsch) eines ihrer liebsten Hobbys. Neben ihren Amtsverpflichtungen als Äbtissin übte sie wie die anderen Vorsteher der anderen Provinzen natürlich auch die Heilkunde aus.

Sie hatte sogar darüber zwei Bücher geschrieben, von denen das eine die verschiedenen Heilmittel im Reich der Natur und ihre Anwendung für bestimmte Krankheiten beschreibt. Das Buch hieß „Physica“ (Natur). In ihm wurden die verschiedenen Klassen der Heilmittel, von denen Hildegard neun unterscheidet, beschrieben. Sie kennt Heilmittel aus der Welt der Pflanzen, der Elemente, der Bäume, der Steine, der Fische, der Vögel, der Tiere, der Reptilien und der Metalle. Hildegards Heilkunde ist damit in der Anwendung der Heilmittel sehr naturnah und basiert auf alten Volksüberlieferungen und einer gewissen Religiosität. Zum Odermennig schreibt sie z.B.:

„Der Odermennig ist warm. ... Aber wer Flüssigkeit und viel Schleim von kranken Eingeweiden ausspeit und auswirft und auch einen kalten Magen hat, der trinke immer in Wein eingelegten Odermennig nach dem Essen und nüchtern und er mindert und reinigt den Schleim des Auswurfs und wärmt den Magen. ... Wenn aber ein Mensch von Begierde und Unenthaltsamkeit aussätzig wird, dann koche er in einem Kochtopf Odermennig, und gemäß dessen dritten Teil Ysop und Gundelrebe, zweimal soviel wie die vorigen zwei, und daraus mache er ein Bad, und er mische Menstrualblut darunter soviel er bekommen kann und er setze sich in das Bad. Aber er nehme auch Gänsefett und zweimal soviel Hühnerfett und ein wenig Hühnermist und daraus mache er eine Salbe.“ Ihr anderes Buch „Causae et Curae“ (Ursachen und Behandlungen) beschreibt verschiedenste physiologische und pathologische Zusammenhänge und gibt auch für deren Behandlungen Anweisungen und Richtlinien. Sie schreibt z.B. über die Migräne:

„Auch die Migräne kommt von der Schwarzgalle und von allen schlechten Säften, die im Menschen sind. Sie befällt nur die Hälfte des menschlichen Kopfes und nicht den ganzen Kopf, so daß sie bald im rechten, bald im linken Teil des Kopfes sitzt. Wenn nämlich die Säfte im Überfluß vorhanden sind, befällt sie die rechte Seite, wenn aber die Schwarzgalle übermäßig zugenommen hat, die linke. Die Migräne hat so eine große Stärke in sich, daß sie der Mensch nicht aushalten könnte, wenn sie den ganzen Kopf des Menschen befiele.“

Auch Furonia stand ein Oberhaupt vor, und er wurde von der dortigen Bevölkerung „der Chef“ genannt. Die Bevölkerung von Furonia war sehr stolz auf ihr Oberhaupt und blickte oftmals mit Verachtung auf auf die anderen Provinzen von Heilonias und auch auf ihre Weisen. Sie hielten sich für die schnellsten, klügsten und intelligentesten von allen. Vor allen Dingen hielten sie sich für die heilkundigsten von allen. Dazu muß man wissen, daß alle Provinzen von Heilonias über ausgezeichnete Heiler und Ärzte verfügten, aber jede Provinz pflegte eben eine andere Art von Heilkunde. Die Leute von Furonia galten als die schnellsten von allen und die anderen Provinzen witzelten über die Furonianer und besonders über ihr Oberhaupt, einen Mann namens Galen, daß sie schneller handelten als sie dächten. Vielleicht hieß Galen auch deswegen Galen, weil ihm oft die Galle hochkam, denn er war als berühmt-berüchtigter Choleriker bekannt. Er galt auch als prahlsüchtig, sehr selbstbewußt, willensstark, eitel, ehrgeizig und fleißig. Er verfaßte ein ganzes Kompendium zur Medizin und setzte damit in der Geschichte der Medizin ein für lange Zeit unumstößliches Fundament, welches auch die geistige Grundlage der späteren Schulmedizin wurde.

Zu Beginn seiner Laufbahn war er in Rom Gladiatorenarzt, was ihm viele Kenntnisse über die Wundheilkunde (Chirurgie) und den anatomischen Aufbau des menschlichen Körpers brachte. Später wurde er zum Leibarzt des römischen Kaiser Marc Aurel berufen und er soll auch nicht wenige Prominente der Stadt Rom unter seinen Patienten gehabt haben.

Galen war außerdem dafür berühmt, daß er in der klinischen Praxis das vernünftig-rationale Handeln betonte, d.h. daß er der Meinung war, daß das ärztliche Tun auf einer rationalen Basis beruhen müsse, die ausschließlich auf Erfahrungen und Forschungen am Krankenbett und der Untersuchung des Körpers selbst gegründet sein sollte. Er glaubte außerdem, daß Funktionsstörungen nicht ohne gleichzeitige Verletzung der Organe möglich wären, weshalb es sich bei ihm um eine organisch ausgerichtete Medizin handelte. Das führte dazu, daß Galen viele Sektionen an lebenden Tieren durchführte, an denen er seine medizinischen Kenntnisse gewann. Gleichzeitig entwarf er die medizinische Theorie der sogenannten Humoralpathologie, die in Europa fast 2000 Jahre Bestand hatte. Dabei handelt es sich um eine Theorie, die die Entstehung der Krankheiten auf die falsche Zusammensetzung der vier Grundsäfte des Körpers - Blut, gelbe und schwarze Galle und Schleim - zurückführt. Für die Behandlung Galens gilt der Grundsatz „Contraria contrariis“ - Gegensätzliches soll mit Gegensätzlichem geheilt werden.

Wir wollen nun sehen, was sich in Heilonias für Geschichten abspielten.

Themen dieses Kapitels


Der Stoff der Heilpraktikerprüfung bzw. der Medizin im allgemeinen ist ein Faß ohne Boden, insbesondere dann, wenn man gezwungen ist, sich diese endlose Fülle von Einzelfakten auch noch zu merken. Das menschliche Erinnerungsvermögen arbeitet nach einer gewissen Logik: Informationen, welche bei jemandem auf besonderes Interesse stoßen, sind in der Regel sofort abrufbar. Separierte Detailinformationen ohne persönlichen Bezug oder ohne Vernetzung mit anderen bereits bekannten Wissensgebieten werden dagegen sehr leicht wieder vergessen, da sich dieses Vorgehen im Laufe der Evolution scheinbar als sinnvoll erwiesen hat.

In diesem Werk soll auf diesen Umstand Rücksicht genommen werden, weshalb die Kapitel dreigeteilt sind:

  1. Zunächst wird der nackte Lernstoff ohne irgendwelche Vernetzungen beschrieben.

  2. Es folgt im zweiten Teil ein „Märchen“, welches zu dem Lernstoff in unmittelbarer Beziehung steht und so den Lernstoff selbst leichter erinnerbar macht, da die Geschichte wie ein roter Faden die Einzelinformationen des Lernstoffs verknüpft, gewissermaßen in ein größeres Netzwerk einbindet. Zum anderen werden durch diese Geschichten bereits immer Einblicke in verschiedene medizinische Sichtweisen und Richtungen gegeben, so daß Interesse für die eine oder andere Richtung wach werden kann und später ein intensiveres Studium dieser Richtung begünstigt wird.

  3. Im dritten Teil versuchen wir uns in sogenannten Analogien und Eselsbrücken. Analogien sind oft Vergleiche von inhaltlich ähnlichen Situationen und sie schaffen damit Beziehungen von bekannten zu unbekannten Wissensbereichen, wodurch der Lernstoff leichter abrufbar wird. Eine ähnliche Funktion haben auch die Eselsbrücken, die stark separierte Einzelfakten über eine „Brücke“ verbinden. Maßgebend ist immer, daß der Lernstoff bereits mit bekannten oder leicht erinnerbaren Netzwerken in Verbindung gebracht werden kann.


Beispiel:


Nehmen wir an, daß die Aufgabe bestünde, die Namen der 5 Weisen und weitere Attribute ihrer Personen oder Provinzen auswendig zu lernen, so ließe sich dieses am ehesten durch Eselsbrücken einerseits und Analogien andererseits bewerkstelligen.

Wir müssen dazu natürlich immer auf ein bereits bekanntes Wissensgebiet aufsetzen, zu welchem bestimmte Erfahrungen vorliegen, so daß Wissensgebiete vernetzt werden können.

Ein allgemein bekanntes Wissensgebiet ist die Tatsache, daß sich das Leben eines Menschen in fünf Teile gliedert: Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter, Wechseljahre und Alter.


Kindheit ist das Alter der Entdeckungen und erstmaligen Orientierung in einem völlig neuen Lebensbereich. Dies gilt sehr stark für Hahnemann, der die Homöopathie begründete und auf eine völlig neue Weise alte Arzneistoffe mit neuen Augen ansah und neu auf seine Methode hin erforschte, wie ein Kind seine Umgebung zuerst neu entdecken muß. Er hatte im übrigen auch zahlreiche Kinder. Kindheit und der Provinzname Wassania können durch die Eselsbrücke „Kinder heulen Rotz und Wasser.“ in Verbindung gebracht werden. Der Name Hahnemann läßt sich durch die Eselsbrücke: „Woher kommt das Wasser ? Aus dem Wassaniahahn, dem Wasserhahn.“ merken. Damit ist nun ein Netzwerk zwischen Kindheit (unserer ersten von fünf Merksäulen in Bezug auf den Ablauf des menschlichen Lebens), dem Wort Wasser bzw. Wassania und dem Namen Hahnemann geknüpft. Automatisch werden dadurch Assoziationen wach, sobald nur einer dieser Begriffe genannt wird.


Die Jugend ist das Zeitalter des Aufbruchs, des Umbruchs, der Aufruhr, parafamiliärer Unternehmungen (d.h. außerhalb der Familie), also ein Zeitalter, in dem man sich gegen seine Eltern abgrenzt und eigene Wege geht. Ähnlich verhält es sich bei Paracelsus, der die damals übliche Schulmedizin stark in Frage gestellt hat und sich gegen den Mainstream der Medizin als Außenseiter abgegrenzt hat. Ebenso wird die Astrologie und die Alchemie nicht von der Schulmedizin anerkannt, wie die Eltern die Ideen des Jugendlichen oft unverständlich finden und sie nicht anerkennen. Hier kann die Eselsbrücke „Jugend - parafamiliäre Unternehmungen - Paracelsus“ helfen, die Verbindung von Jugend und dem Namen Paracelsus herzustellen. Paracelsus wurde in einer Holzhütte im Wald geboren - hier also die Verbindung zum Provinznamen Holzonia. Jugend - parafamiliär - Paracelsus - geboren in einer Holzhütte – Holzonia.


Das Erwachsenenalter ist der Zeitpunkt, in dem man seinen Stand im Leben gefunden hat und in dem man sich etabliert hat. Galen ist Professor für Schulmedizin an der Universität von Furonia. Er hat sich etabliert und steht in der Blüte seines Lebens. Wir wissen, daß Galen ein cholerischer „Galliker“ ist, d.h. jemand, der sein Feuer oder seine Furie nicht zurückhalten kann und so läßt sich leicht die Verbindung zu Furonia herstellen. Im Erwachsenenalter steht man in der Blüte seines Lebens. Im Ablauf der Jahreszeiten entspricht dies in der Analogie dem Sommer, in dem es sehr heiß ist, so daß damit wieder die Verbindung zum Feuerprinzip geknüpft ist. Erwachsene - Blüte des Lebens - Hochsommer des Lebens - heiße Jahreszeit - Feuer - Furonia - Furie - cholerischer Galliker - Galen.


Die Wechseljahre machen sich besonders bei Frauen bemerkbar, also in unserem Fall bei Hildegard, der einzigsten Frau in unserer Geschichte. Gerade in den Wechseljahren treten vermehrt gesundheitliche Beschwerden auf, die z.B. durch Kneippsche Kuren oder auch durch die Besinnung auf naturheilkundliche, natürliche Verfahren gelindert werden sollen. Hildegard arbeitet - was fast schon ans Wassertreten bei den Kneippkuren erinnert - gerne mit den nackten Füßen auf der weichen Erde. Erde heißt lateinisch Terra und die Provinz heißt Terrania.

„Hildegard von Bingen konnte wirklich gut singen, sie war Chorleiterin ihrer Herde, und liebte über alles die Erde.“

Wechseljahre - Frauen - Hildegard von Bingen - Singen - Chorleiterin ihrer Herde - liebte sehr die Erde - Terra - Terrania


Das Alter des Menschen und die chinesische Medizin hängen insofern zusammen, als daß die chinesische Medizin eines der ältesten Medizinsysteme der Menschheit ist. Die chinesische Medizin ist insbesondere für die Akupunktur, die Therapie mit Stahlnadeln berühmt. Der gelbe Kaiser ist Oberhaupt von Metallina, was an Stahl, Metall erinnert. Sein Kaiserpalast war mit vielen, edlen Metallen ausstaffiert. Das edelste Metall ist das gelbe Metall des Goldes.

Alter des Menschen - Alter der chinesischen Medizin - Akupunktur - Stahlnadeln - Stahl - Metall - Metallina - Edelmetalle - Kaiserpalast - Kaiser - Kaisermetall - Gold - gelbes Gold - gelber Kaiser.


Wer sich natürlich schon intensiver mit der chinesischen Medizin und Philosophie beschäftigt hat, weiß, daß wir mit unserer Geschichte auf die sogenannten fünf Wandlungsphasen oder Elemente der chinesischen Medizin angespielt haben. Wer diese Elemente kennt, findet abermals zu seinem bereits bestehenden Wissensgebiet viele Verknüpfungen und kann sich dadurch die Namen der Personen und Provinzen allein durch die Kenntnis der fünf Elemente merken.


Ziel ist es, daß nach einer anderthalb- bis zweistündigen Lern- und Übungsstunde der Stoff ohne weiteres Nachpauken nur durch Hören der Märchenerzählung, der Erläuterung der Analogien und Eselsbrücken bereits „sitzt“ und auch später sofort erinnerbar ist. Dies soll durch diese mnemotechnische Übungen geschehen, die ein Vergessen des Grundlehrstoffs, der zunächst separiert und zusammenhanglos nebeneinander steht, unmöglich machen.

1 In der Homöpathie wird das Arzneimittel Tuberkulinum gerne bei Menschen verwendet, die viel und häufig unterwegs sind, wobei das Reisen aber eher einer inneren Rastlosigkeit und seelischen Verlorenheit entspricht

2 In der Homöpathie werden die Arzneien in Form von Zuckerkügelchen und alkoholischen Tropfen verabreicht.

3In der chinesischen Medizin verwendet man in der sogenannten Akupunktur Stahlnadeln zur Behandlung der Kranken.