Tarot und Torah oder:
Eine Unterrichtsstunde in einer mittelalterlichen Torah-Schule oder: Die Entstehung des Tarock


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Eine Geschichte aus der Torah-Schule des Rabbi Abraham1


Eine neue Klasse von Torah-Schülern trat in den Schulraum. Abraham ben Rabbi Shimon saß ruhig an seinem Pult und schaute bedächtig auf eine Zeichnung mit Tusche, die auf einem Pergament vor ihm lag. Die Jungen setzten sich in die Bänke und schauten sich neugierig im Schulraum um.

Ich grüße Euch, im Namen des Allmächtigen, sein Name sei gepriesen.“ sprach der Rabbi, nachdem sich die Schüler in ihren Bänken eingefunden hatten. „Ich heiße Rabbi Abraham ben Shimon, auch bekannt als Abraham von Worms. Ich sehe es als meine besondere Ehre an, Euch mit der Thorah und Gottes Wort und Schrift bekannt zu machen.“

Was ist die Thora?“ fragte eine der Schüler in seine Rede hinein.

Eine gute Frage, die eine gute Antwort verdient.“ lächelte der Rabbi, wandte sich zur Tafel und schrieb vier Buchstaben an dieselbe:

תורה

Die Thorah ist das Gesetz, und zugleich noch vielmehr. Sie ist der innere Aufbau der Welt und zeigt in ihren kleinsten Teilen den Aufbau des ganzen Großen. Diese vier Buchstaben werden Lauten zugeordnet und von rechts nach links gelesen. Der erste Buchstabe ist das Thav, ausgesprochen wie th im Englischen, also mit Hauchlaut hinter dem T und bedeutet als Buchstabe auch das Wort „Zeichen“. Der zweite Buchstabe, der folgt, ist das Waw. Waw kann den Laut W bedeuten, aber auch andere Laute wie z.B. die Vokale O und U. Hier in diesem Zusammenhang ist es das O. Waw ist das Wort für Nagel oder Haken. Der dritte Buchstabe ist das Rejsch mit dem Laut R. Rejsch heißt auch Kopf und zuletzt finden wir das Heh, was den Laut H und das Wort Fenster symbolisiert. Lesen und lauten wir also das Wort, so kommen wir auf das Wort Thorh. Wo ist das A? Es wird stillschweigend als Lebenshauch zwischen dem Rejsch und dem Heh eingefügt. Dies lernen wir, wenn wir die hebräische Sprache und ihre Vokabeln lernen und lesen lernen. Nun ist es das eine, die Buchstaben und Worte zu kennen und ihre Laute und die dazugehörigen Vokale zu dechiffrieren. Es ist die äußere Ebene der Thora, die wortwörtliche Anwendung und Betrachtung ihres Körpers. So heißt das Wort Thorah wörtlich übersetzt: Gesetz, Doktrin, Theorie. Aber es gibt auch weitere Ebenen, wie z.B. die allegorische Ebene. Die Buchstaben haben, wie ich sagte, auch die Bedeutung eines Gegenstands, hier im Falle der Thorah bedeuten sie: Zeichen, Haken, Kopf und Fenster.

Zeichen bedeutet auch Symbol, bedeutet auch das Unfassbare, den Archetypen und den Plan, der vor der Erschaffung der Welt bereits existiert hat.

Der Haken kann auch den Stylus oder Griffel symbolisieren, mit dem geschrieben wird. Es ist eine äußere Handlung, die zwei Dinge miteinander verbindet, z.B. Tinte und Pergament.

Der Kopf ist Symbol für die Manifestation auf Erden. Mit welchem Körperteil werden wir zuerst geboren? Mit dem Kopf – er ist der Anfang der körperlichen Manifestation.

Das Fenster lässt uns von innen nach außen schauen, wir sehen in die Welt hinaus, wir sehen Bilder durch das Fenster.

So gesehen bedeutet also das Wort Thorah auch, dass die Archetypen des Lebens sich durch den Vorgang des Schreibens mit einem Griffel körperlich manifestieren, so dass wir durch sie die äußere Welt als innere Bilder erkennen können.

Somit bedeutet Thorah einen komplexen Vorgang der Manifestation von Archetypen, die uns die Welt vermitteln.

Und nicht nur einfach Gesetz, das wäre ja auch viel zu leicht und zu langweilig.

Ich will Euch gleich noch ein zweites Wort an die Hand geben:“



Rabbi Abraham schrieb abermals ein neues Wort an die Tafel:

תרג

Kann ich euch mit Orangen füttern?“

Die Schüler schauten erstaunt auf ihren Lehrer. Wie kam er jetzt darauf?

Was bedeutet es, jemanden mit Orangen zu füttern?“ fragte er in die Runde. Das kollektive Schulternzucken seitens der Schüler war unübersehbar.

Es bedeutet“, so führte er weiter aus, „jemanden zu erleuchten. Die Orange ist eine Frucht, die sehr viel Sonnen- und Lichtkraft in sich trägt. Sie regt den Körper an, sie erregt ihn und schafft es durch diese Erregung Wege zu bahnen, die vorher noch nicht beschritten wurden. So bedeutet also, jemanden mit Orangen füttern – ausgesprochen ist es das Wort tarag – jemanden erleuchten, helle machen, schlauer machen. Also wenn ich Euch frage, ob ich Euch mit Orangen füttern kann, so meine ich: Kann ich euch erhellen, kann ich euch erleuchten, kann ich Licht bringen in die Dunkelheit eures Unwissens.

Dieses Wort heißt also Tarag. Die ersten beiden Buchstaben kennen wir nun schon, es ist das Thav und das Rejsch. Der dritte Buchstabe ist das Gimel, was den Laut G symbolisiert und auch zugleich Kamel, aber auch zusammenhäufen, verflechten bedeutet. Wenn ich zwischen die geschriebenen Buchstaben die Vokale A einfüge, ergibt das Wort den Sinn „erhellen, mit Orangen füttern“.

Wenn ich noch einen Buchstaben hinzufüge, das Mem, was Wasser bedeutet, und andere Vokale zwischen die Konsonanten einflechte, dann schreibt man das so:“

תרגם

Und das spricht man Tirgum und das bedeutet laut sprechen, liefern, verlautbaren, erklären und interpretieren. Genau das musste ich nun tun, um euch meine Frage zu erklären, ob ich euch mit Orangen füttern kann. Ich musste sprechen, erklären, interpretieren. Damit habe ich euch den dunklen Sinn meiner Rede erhellt. Nehme ich nun abermals andere Vokale und spreche Targem aus, so bedeutet dies nun lesen, interpretieren, übersetzen, erklären. Neu ist, dass es sich nun um den Vorgang des Lesens und der Übersetzung handeln kann.

Ihr werdet in dieser Schule hauptsächlich genau dies lernen: Sprechen, Lesen, Übersetzen, Interpretieren, Erklären. Denn wir werden die hebräische Sprache, ihre archetypischen Lettern und das Sprechen, Lesen und Interpretieren des Worts lehren und lernen. Ihr werdet üben, üben und nochmals üben. Und das Wort dafür lautet: Tirgel und dies wird wie Tarag mit dem Endbuchstaben Lamed für L geschrieben, nur mit anderen Vokalen gefüllt:

תרגל

Was ist lesen, was ist schreiben? Eine Art der Chiffrierung und Dechiffrierung eines Codes. Wir wollen unsere Betrachtungen zum Wort Thorah nun auch auf unsere neuen Worte ausdehnen:

Thav und Rejsch, habe ich erklärt. Was ist mit Gimel? Es bedeutet Kamel, verflechten und zusammenhäufen. Die Höcker eines Kamels sind zwei an der Zahl, kommen aber aus dem einen Ursprung, nämlich dem Körper des Kamels. So sind auch alle Formen dieser Welt zwar dual, also scheinbar äußerlich getrennt, haben aber ihren Ursprung im Allmächtigen, gepriesen sei sein Name.

Also bedeutet Gimel in seiner tieferen Bedeutung, dass der tiefere Grund die äußeren Formen miteinander verbindet. Und genau das ist der Vorgang des Lesens, des Dechiffrierens eines Codes.

Wir haben das Zeichen, den Archetypen und das Rejsch, die körperliche Manifestation. Das Zeichen wird körperlich manifestiert. Die Worte Tarag (erhellen), Tirgum (sagen, erklären) und Targem (lesen, interpretieren) bedeuten also die manifestierten Archetypen aufgrund unseres Wissens als zugrundeliegender Einheit zu erklären, zu lesen und zu interpretieren.

Der Beginn der Konsonanten-Schrift liegt ca. dreitausend Jahre zurück, als der Frühlingspunkt noch am Anfang des Zeichens Stier stand. Die Schrift wurde damals von Weisen und Sternkundigen aus den Zeichen des Himmels abgeleitet. Die 27 Mondstationen, damals das wichtigste astrologische Element der Epoche, markierten Abschnitte und Symbole, die zugleich als Sternbilder am Himmel erkannt wurden. Die ersten sogenannten Zeichen, die im Sinai im Lande Kanaan entstanden und die von Sternkundigen erstellt wurden, waren 27 an der Zahl und stellten die Grundlage für alle späteren konsonantischen und vokalischen Alphabete dar. Diese 27 Zeichen übernahmen die Phönizier und von den Phöniziern leiten sich z.B. das griechische oder auch das hebräische Alphabet ab.

Die hebräische Sprache hat nun nur noch 22 Buchstaben, aber sehr bedeutende! Und auch diese folgen klaren und unbestechlichen Gesetzen, so wie die hebräische Sprache einer unbestechlichen, archetypischen Logik in ihrem Aufbau folgt.

Denn Bestandteile aller hebräischen Lettern sind vier Symbole:

Schwert, Stab, Tropfen und Nagel – und diese entsprechen den vier Elementen und den vier Grundbausteinen allen Seins: Feuer, Erde, Wasser und Luft.“

Meister, was haben diese Dinge mit den Elementen zu tun?“ fragte ein Schüler. „Und wo seht Ihr diese Gegenstände in den hebräischen Buchstaben?“

Sehr viel haben diese Elemente mit diesen vier Symbolen zu tun. Doch eines nach dem anderen. Betrachten wir die hebräischen Buchstaben, so fällt uns auf, dass alle Buchstaben aus vier grundlegenden Symbolen aufgebaut werden können:

Es sind die Symbole des Schwertes

ז

auch besser bekannt als der siebte hebräische Buchstabe Sajin. Das Symbol erinnert an einen länglichen Gegenstand, an dem oben wie ein Knauf eine Art Schwertgriff angebracht wurde. Die Schwertklinge weist nach unten. Wir assoziieren das Schwert mit dem Element Feuer, da das Feuer ebenfalls das Element darstellt, welches wie das Schwert die Dinge erneuert oder aber auch zerstört, z.B. im Krieg. Das Element Feuer ist stets das Element der Bewegung, der Dynamik, des Neubeginns aber manchmal auch das Element des Endes.

Der sechste hebräische Buchstabe, es ist das Waw:

ו

bedeutet übersetzt „Haken, Nagel“ – und stellt das Element Luft dar. Die Luft hat immer den Kontext von Kommunikation, Begegnung, Inspiration und Verbindung. Es gibt nur sehr wenige Worte in der hebräischen Sprache, die mit diesem Buchstaben beginnen. Dieser Buchstabe bedeutet auch oft einfach nur das Wort „und“ und verbindet damit zwei Pole. Eines der wenigen Worte, die mit diesem Buchstaben beginnen ist das Wort Wiud ויעוד, was Versammlung, Treffpunkt oder Vereinbarung bedeutet. Im weitesten Sinne kann man damit natürlich auch Messen, Märkte und Münz- oder Geldgeschäfte assoziieren. Geld ist ja wie das Verbindungsglied zwischen Menschen, die handeln wollen.

Das dritte Element findet sich im achten hebräischen Buchstaben Chet, der Gitter oder Mauer bedeutet. Er sieht so aus:

ח

Nun stellt dieser Buchstabe eine Art Umzäunung dar, die durch drei Stäbe gebildet wird. Der Stab, der einfache längliche Strich, stellt das Symbol für das Element Erde dar. Die Erde ist das Element, welches den Grund, die Existenz, die körperliche Manifestation, aber auch die weltliche Anerkennung und die daraus resultierende Macht und Einflussmöglichkeiten darstellt.

Zuletzt kennen wir den zehnten Buchstaben, das Jod, was geschlossene Hand bedeutet:

י

als das Symbol für das Element Wasser. Es stellt einen Tropfen Wasser dar. Wasser fängt man mit einer Schale oder einem Kelch auf. Es ist das Element der Gefühle, der Emotionen, das Element des Weibes und aller weiblichen Angelegenheiten: Haus, Heim, Kinder, aber auch Freude, Frieden und Wohlergehen. Betrachten wir einmal alle Buchstaben...“, und der Rabbi ging an die Tafel und schrieb alle 22 Buchstaben an die Tafel, „... so erkennen wir, dass wir in der Tat alle Buchstaben mit diesen vier symbolischen Grundbausteinen bilden können:“

אבגדהוזחטיכלמנסעפצקרשת

Beachtenswert ist, dass es sich bei den grundlegenden Symbolen für das hebräische Alphabet und den Buchstaben, bei denen sie sich primär finden, beim sechsten (Waw ו), siebten (Sajin ז ), achten (Chet ח ) und beim zehnten (Jod י) Buchstaben gleichzeitig um Zahlen handelt, die eine tiefe mystische Bedeutung für den Menschen haben2. Aber dazu kommen wir ein anderes Mal.“

Meister, was ist das für ein Bild, welches auf dem Pergament vor Euch abgebildet ist?“ fragte ein anderer Schüler.

Eine ebenfalls sehr gute Frage.“ Der Rabbi hielt das Pergament in die Luft, so dass alle in der Klasse die Zeichnung eingehend betrachten konnten. Eine Person war auf dem Pergament dargestellt, die eine Art länglichen Stab mit der Linken in der Hand hielt. Sie stand vor einem Tisch, auf dem allerlei Gegenstände ausgebreitet waren, unter anderem auch ein Dolch, ein Kelch und Münzen.

Dies ist ein Aschaf oder auch Amgusch, ein Magier oder Zauberer. Wir würden heute eher Alchemist, Astrologe oder Adept sagen, was ungefähr das Gleiche meint. Es handelt sich hier um ein sogenanntes Targum-Bild, weil es euch helfen sollen, die hebräischen Buchstaben zu lernen. Targum heißt Übersetzung oder Interpretation. Wir nennen diese Karten Targum-Bilder, weil sie uns helfen, die Buchstaben zu lernen und damit die Texte zu entziffern, zu lesen und zu interpretieren. Welchen Buchstaben stellt dieses Bild dar?“

Das Alef?“

Richtig. Dieses Bild, welches eine Person darstellt, die auch Amgusch oder Aschaf genannt wird und die somit mit dem Buchstaben Alef beginnt, stellt den Buchstaben Alef dar. Alef wird aber zugleich auch durch die Haltung dieser Person versinnbildlicht. Der längliche Stab auf der rechten Seite ist das Jod, was wir auch beim Buchstaben Alef א oben rechts finden. Die Körper- und Beinhaltung des Magiers erinnert an die restlichen Teile des Buchstabens. Zugleich finden wir allerlei Gegenstände auf diesem Bild, die ebenfalls mit dem Buchstaben Alef als erstem Buchstaben geschrieben werden. Der Kelch (Agan), der Dolch (Ariran) oder die Münzen (Agorah). Für jeden Buchstaben des Alphabets gibt es ein solches Targum-Bild und es dient euch als Lern- und Merkhilfe für die Buchstaben des Alphabets in dieser Thorah-Schule.“

Meister, die Christen verwenden doch Karten mit ganz ähnlichen Bildern, mit denen sie ein Kartenspiel namens Tarock spielen. Es gibt in diesem Kartenspiel zwar keine hebräischen Buchstaben, aber die vier Farben sind Schwerter, Stäbe, Münzen und Pokale.“

Das mein Lieber, ist eine lange Geschichte, man könnte auch zu Recht behaupten, eine richtige Räuberpistole...“ antwortete der Rabbi.

Ein lange Geschichte? Eine Räuberpistole? Wieso denn das?“ Die Neugier der Schüler wurde wach.

Nun, ich muss dazu etwas ausholen. Es begab sich vor vielen Jahren, dass ich mit meinem Lehrer in Norditalien unterwegs war, als folgendes geschah:

Mein ehrwürdiger Lehrer hatte mich damals in die Lehre der Anagramme eingeführt. Anagramme sind Worte, die, wenn man ihre Buchstaben umstellt, andere sinnvolle Worte ergeben. Ein einfaches Anagramm für das Wort „Kartenspiel“ wären z.B. die Worte „Skalpierten“ oder „Pils-Traenke“ oder „Pik Raetseln“ oder „Kent Plaesier“ oder „Klarste Pein“ - das Prinzip ist stets, dass jeder Buchstabe des Ursprungsworts genau einmal in dem neuen Wort oder in den neuen Worten verwendet wird, allerdings in einer anderen Reihenfolge als im Ursprungswort. Er stellte mir die Aufgabe, Anagramme in der hebräischen Sprache zu finden und ihre inhaltlichen Zusammenhänge zu erkennen. Gegen Abend, wir wollten unser Lager aufschlagen und mir brummte der Kopf nur so mit Anagrammen, fielen wir dieser Räuberbande in die Hände, dessen Anführer Rothhart hieß, offensichtlich wegen seines roten Barts und seiner Härte.

Die Räuber erkannten uns als Juden und dachten, wir seien Händler, und durchsuchten unser Hab und Gut in der Hoffnung, Geld zu finden. Das Wenige, was wir bei uns trugen, nahmen sie uns ab, aber sie waren damit alles andere als zufrieden. Wir mussten um unser Leben fürchten. Mein Lehrer, ein weiser Mann, der die Brenzligkeit der Situation erkannte, war aber alles andere als auf den Kopf gefallen und so sprach er zu den Räubern:

Lasst uns gehen und ich werde euch ein Geschenk machen, was euch viel Freude bereiten wird.“

Die Räuber spielten ein Kartenspiel namens Karnöffel. Es waren ehemalige Söldner italienischer Stadtstaaten oder desertierte Soldaten, die nicht gut auf die Obrigkeit oder offizielle militärische Truppen zu sprechen waren. Karnöffel ist, das müsst ihr wissen, ein Kartenspiel, in welchem man die hohen Bildkarten, auf denen der König, der General und der einfache Soldat abgebildet sind, mit kleinen Zahlen-Karten, den sogenannten Skartins, abstechen kann. Es ist ein Stichspiel, wie überhaupt das Kartenspiel und der Degen-Kampf offensichtlich viele Gemeinsamkeiten aufweisen. So wies Karnöffel eine Art revolutionären Charakter gegen die Obrigkeit auf, was den Räubern gut gefiel.

Mein Lehrer kam auf eine brillante Idee. Wir hatten zwar nicht viel Geld, so doch aber unsere Targum-Bilder bei uns, mit denen mich mein Meister die Buchstaben und Mystik der hebräischen Sprache lehrte. Er sagte zu Roth-Hart: „Ich kenne ein Spiel, welches mehr Spaß bereitet als Karnöffel und dich reich machen wird.“

Der Räuber-Hauptmann erwiderte:

Das will ich erst sehen. Ansonsten ist euer Leben keinen Pfifferling mehr wert. Also sprich rasch oder ich vergesse mich.“

Es war im Grunde sehr einfach: Er nahm die Spiel-Karten der Räuber und ergänzte sie mit unseren Targum-Bildern. Er schaute mich jetzt an und sagte:

Das Spiel heißt..., nun mein lieber Schüler Abraham, du hast heute so fleißig Anagramme geübt, wie heißt unser Spiel?!“

Ich wurde rot, mir wurde ganz bang ums Herz, denn noch hatte ich Angst, dass wir den Räubern nichts Überzeugendes geben und damit nicht einmal unser bloßes Leben hätten retten können, also nahm ich all meine Geisteskraft zusammen, überlegte krampfhaft im Geiste, indem ich das hebräische Wort Targum mehrmals im Kopf umstellte: Targum, Targo, Ratog, Tarog, … Ich stammelte: „Tarog. Es heißt Tarog.“

Jawohl, so heißt es...“, pflichtete mir mein Meister improvisierend bei, „Es ist das Tarog-Spiel.“ sagte er grinsend.

Tarock?“ fragte der Räuber-Hauptmann.

Sehr wohl, Tarog“ antwortete mein Lehrer und da die Räuber weder lesen noch schreiben konnten, spielte es auch keine Rolle, wie sie dieses Wort schrieben, wenn sie es nur aussprechen konnten.

Die Tarogs stechen alle Bildkarten aus, stehen also immer über König, General und Soldat.“ führte mein ehrwürdiger Lehrer aus.

Das gefällt mir.“ knurrte der Räuberhauptmann und besah sich die Targum-Karten. Allerdings stutzte er gleich bei der dritten und vierten Karte, denn auf diesen waren eine Herrscherin und ein Herrscher abgebildet.

Willst du mich veralbern, Alter? Hier ist als Tarock-Karte ein König abgebildet und der sticht alle meine Skartins?“

Aber, aber, die Karten haben doch eine Reihenfolge, erkennbar an der Ziffer auf jeder Karte. König und Königin sind die Karten 3 und 4, es sind also niedrige Tarogs. Hier, schaut euch die Karten 13 mit dem Sensenmann oder 16 mit dem Turm und dem Blitz oder die 20 mit dem Engel an. Dagegen sind die niedrigen Tarogs machtlos.“

Hm“ brummte Roth-Hart. „Und was soll diese Karte mit einem Narren ohne Nummer?“

Mein Meister blickte mich an und fragte mich:

Der Buchstabe Thav, der erste Buchstabe unseres Spiels Tarog תרג ist eine der kleinsten und doch wertvollsten Karten, symbolisiert er doch das Zeichen, den Wert, das Symbol. Er kann nicht kämpfen, nur bedeuten. Was sagst du dazu, mein Schüler?“

Ich wurde wieder aufgeregt. Wenn es nicht um unser Leben gegangen wäre, sondern ein reines Lehrer-Schüler-Gespräch gewesen wäre, so hätte ich daran wahrscheinlich viel Gefallen gefunden, aber so musste ich wie in einem Degen-Kampf die Bewegungen des Gegners sofort parieren. Ich zog also meinen verbalen Degen und stach, also sagte ich schnell:

Es ist der niedrigste und der höchste zugleich, denn er zählt die meisten Punkte, ist aber ein Gesetzloser, denn er kann zwar nicht stechen, aber zählt die meisten Punkte. Wenn du mit deinen Räubern, deinen Tarogs, diesen einfängst, erhältst du nicht einen Punkt wie für die Skartins sondern soviel Punkte wie für einen gefangenen König.“ suchte ich eine Notlösung. Das schien dem Räuber-Hauptmann offensichtlich sehr zu gefallen.

Und welcher ist der höchste Tarock?“ fragte der Räuber.

Nun, mein lieber Roth-Hart, natürlich seid es Ihr und da euer Name mit dem Buchstabe Reijsch beginnt, ist es die zwanzigste Karte im Spiel, das „R“, und die Karte ist ebenfalls 5 Punkte wert, soviel wie ein König. Zu mir blickend schmunzelte er:

Und dies ist der zweite Konsonant im Namen unseres Spiels: Das R in Tarog תרג.“

Mein Meister wusste, wie er Roth-Hart mit seiner Eitelkeit einwickeln konnte. Gut, es gab also jetzt 2 Karten mit einem hohen Kartenwert, den Gesetzlosen und den Räuberhauptmann.

Und natürlich gibt es noch eine dritte Karte, die 5 Punkte wie ein König, ein Räuberhauptmann oder ein Narr wert ist: Es ist die Herrscherin, die Karte Nummer Drei. Denn wer die Königin fängt, einen niedrigen Tarog, der demütigt den Herrscher umso mehr. Und kann ein Lösegeld verlangen.“ improvisierte ich weiter. Mein Meister schaute anerkennend zu mir und murmelte:

Nun, der dritte Konsonant im Tarog ist in der Tat der dritte Buchstabe G: תרג.“

Und so begann die Räuber-Runde zugleich nach den Spielregeln, die mein Meister vermittelte, das Spiel zu spielen. Selbstverständlich spielt man dieses Spiel um Geld, denn genau das wollte ja die Räuber von uns, aber wir hatten es ja nicht. Sie waren von dem Spiel begeistert und ließen uns laufen und so verdankten wir unser Leben der Erfindung eines Kartenspiels, welches bis zum heutigen Tage von den Christen gespielt wird, auch wenn es eigentlich zwei Gelehrten vor langer Zeit das Leben gerettet hat. Die Herrscherin ist schon lange nicht mehr einer der wertvollsten Trümpfe, an die Stelle derselben ist der Pagat, der Tarocktrumpf Nr.1 getreten, eigentlich der niedrigste Trumpf, was den Erhalt desselben schwierig und damit wertvoll macht und er daher hochdotiert wird. Der höchste Trumpf ist mittlerweile auch nicht mehr die zwanzigste Karte, „der Engel“ oder eigentlich genauer gesagt „der Räuberhauptmann“, sondern die einundzwanzigste Karte, „die Welt“.3 Aber so hatte es sich vor langen Jahren zugetragen und so merkt euch, dass Weisheit und Wissen durchaus nicht nur in die Lage versetzt, die Schriften Gottes zu lesen und zu verstehen, sondern auch Leben retten kann.“


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1Abraham von Worms lebte ca. 1362-1458 und war ein deutschstämmiger Jude. Er bereiste ab Ende der 80er Jahre des 14. Jahrhunderts viele europäische und orientalische Länder und ist Verfasser der Schrift „Buch der wahren Praktik in der uralten göttlichen Magie“

2Andreas Bunkahle: Medizin und Astrologie, Kapitel „Astrologie und Da Vincis Homo Vitruvius (Der Mensch nach Vitruv)“, S. 357, Leipzig, 2005

3In den heutigen Tarock-Spielen ist der Narr der höchste Trumpf. In den frühen Tarockvarianten des Mittelalters war der Narr (Sküs) keine Trumpfkarte im heutigen Sinne, hatte aber eine sehr hohe Punktzahl, was diese Karte zu einer begehrenswerten Beute machte. Im heutigen französischen Tarockspiel („Tarot“) ist es noch nach wie vor so, daß der Narr nicht stechen kann und auch außerhalb des Farb- und Tarockzwangs steht, aber punktemäßig zu den höchsten Karten zählt.